Gretchen & die Gruselclowns
Waiblinger Schüler feiern den letzten Prüfungstag in der Stuttgarter Oper.
Drei Jahre haben sie geackert, gebüffelt, gelernt. Die Schüler der M3VF1 der Gewerblichen Schule in Waiblingen (GSWN).
Erreicht haben sie viel, den Beruf des Verfahrensmechanikers, den Titel Facharbeiter und "und das ist nicht zu unterschätzen", so Lehrerin Juliane Becker "das, was wir allen unseren Schülern mitgeben möchten, eine Grundoffenheit. Die Fähigkeit, nicht nur das zu essen, was man aussprechen kann, und nicht nur das zu mögen was man kennt." Sondern "auch Neuem gegenüber aufgeschlossen zu sein." Interesse für gesellschaftliche und kulturelle Teilhabe.
So war es eigentlich ganz logisch, dass die Lehrlinge dem Vorschlag ihrer Lehrerin zum Abschluss von drei Jahren Berufsschule im Staatstheater zu feiern sofort und positiv gegenüberstanden. Die Wahl zwischen Oper und Theater, also ob man das Große Haus (Oper) oder das Kleine Haus (Schauspiel) in Stuttgart besuchen solle, war fix geklärt. "Theater hatten wir ja jede Woche hier. Wir gehen in die Oper", so der augenzwinkernde Kommentar eines Schülers.
Gesagt getan: Am Abend des letzten Prüfungstages wurden die gebügelten Hemden aus dem Schrank gefischt und los ging es.
Auf dem Programm: "Faust". Charles Gounards 1860 entstandene Oper, die Goethes Faust auf eine süffige Liebesgeschichte reduziert. Inszeniert von keinem geringeren als Regieurgestein Frank Castorf. Der Ex-Volksbühnenheld ist nicht eben für einfaches Programm bekannt. Ganz gleich eigentlich, ob er ein Schauspiel, oder eine Oper inszeniert. Castorf verlegt in seinem Faust die Handlung in das Paris der 1960er Jahre (so ungefähr jedenfalls), genauer in eine U-Bahn Station in Paris. Weswegen auch Algerien, Charles de Gaulle, eine heruntergekommene Metzgerei und interessanter Weise eine Schlange eine Rolle spielen. Castorfs Paris ist nicht romantisch und so ist es die hier gezeigte Oper auch nicht. Dafür ein dreieinhalbstündiger Rausch für alle Sinne. Gretchen als Kokotte, der Titelheld als labiler Lebemann, die Hexen der Walpurgisnacht als Gruselclowns und Mephisto mit mal mehr, mal weniger Pferdefuß und ziemlich vielen Tattoos. Dazu natürlich und typisch für den Regisseur viel Konsum - und Kapitalismuskritik.
Nicht immer nachvollziehbar: "Was soll das mit der Coca Cola die ganze Zeit", sinnierte ein Schüler zur Pause. "Was da alles abgeht auf der Bühne", staunte ein anderer. Das Tempo der Inszenierung, die Bild- und Blickwechsel, Drehbühne, Videoprojektionen, diverse Handlungsebenen, gerne auch alles auf einmal, ist rasant, auffällig und spannend.
Die frischgebackenen Mechaniker saßen gebannt und mal konzentriert, mal amüsiert auf ihren Plätzen. Ihren sehr guten Plätzen! Dank einer engagierten Mitarbeiterin des Staatstheaters hatten die Schüler nämlich allerbeste Sitze im Parkett. Auch dadurch wurde dieser Abend zu einem Erlebnis, dass so schnell nicht vergessen sein wird, auch wenn beim Fall des Vorhangs noch einige Fragen offen waren. Was bei einer auf Überforderung angelegten Inszenierung ein durchaus gutes Zeichen ist.
"Das war eine sehr, sehr interessante Erfahrung", so das einhellige Fazit der GSWN Absolventen. "Und dazu noch eine, die sogar Spaß gemacht hat", fügte sein Klassenkamerad hinzu. Selbst ein bisschen verwundert.